L 19/de

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19 ist dort gelandet?' Peter Strasser presste den Hörer an die Ohrmuschel. 'Gut! Dann bitte ich den Kapitänleutnant Loewe an den Apparat!' Der Kommandeur betrachtete aufmerksam die vor ihm liegenden Wetterkarten. Seit Mitte Oktober haben wir nur immer Aufklärung gefahren, und jetzt ist Mitte Januar! Er stiess wütend mit dem Bleistift auf das Papier. Da meldete sich Kapitänleutnant Loewe.

'Hier Strasser! So, - Loewe, also gut angekommen mit Ihrem neuen Schiff? Wir var denn das mit Dresden?' Er blickte abwesend zum Fenster. 'Immer wieder Motorschwierigkeiten? Die 240 PS HS-Lu-Motoren taugen eben nichts, jedenfalls solange sie aus diesen Kinderkrankheiten nicht heraus sind! Ja, - ich bin durch die Durchschläge im wesentlichen über den Vorgang unterrichtet. Der Motorenbau hat Ihnen gebohrte Ventilteile nachgeliefert, damit bei einem Bruch der Feder das Ventil nicht in den Zylinderraum fallen kann. Wie hat sich das bewährt?' Er wippte den Bleistift auf dem waagrechten Zeigefinger und legte ihn mit einem Ruck hin, als er sich bei diesem Spiel ertappte. 'So, - na, - das wäre ja erfreulich, und langsam wirklich an der Zeit. - Und Ihre Fahrt nach Tondern hat geklappt? Das ist die Hauptsache! So,- zuletzt wurde es ungemütlich it reichlichem Nebel? Hier war es auch nicht besser. - So, erst ab Lübeck?' Er lachte wor sich hin: 'Liegt ja nicht unmittelbar auf dem roten Strich! Nee, nee, - kein Vorwurf, lieber Loewe, - mussten doch auch mal Ihrer Familie winken. Versteh sich, - und schliesslich galt die Fahrt auch der Überprüfung Ihrer Motoren. - War wenigstens die Familie zu Hause? - So, sie haben eine Schleife über Ihrem Haus gefahren? In 180 Meter? Da konnten Sie wohl Ihre Frau im Schnee stehen sehen...' Er nichte vor sich hin, mit einem Lächeln, in dem etwas von ferner Wehmut war. '... Was, sogar Ihre Kinder? Da haben Sie wohl tüchtig gewinkt! Das ist recht!' Seine Hand fuhr sich über das Gesicht, das mit einem Male wieder Streng war. 'Ihr L 19 ist also fahrtbereit? Gut! Trauen Sie Ihren Maschinen auch die Anforderungen einer Angriffsfahrt zu? Überlegen Sie sich das in aller Ruhe. Sprechen Sie noch einmal mit Ihrem Maschinisten darüber. Köppen ist ja ein zuverlässiger Mann. Ich drenge Sie nicht, mitzumachen...' Er hielt inne und sagte dann mit fester Stimme: 'Bei gleichbliebender Wetterlage steigen morgen alle verfügbaren Luftschiffe zum Angriff auf Mittel- und Südengland auf. Ziel möglichst das Industriegebiet um Sheffield, Nottingham, Derby, Hanley und, wenn möglich, auch Manchester. Ich bin an Bord L 16. Aufsteigen so, dass bei Dämmerung die engliche Küste erreicht ist. Angriffsbefehl folgt morgen.'

'Zu Befehl, Herr Kapitän!' Das klang so laut, dass Peter Strasser die Hörmuschel vom Ohr nehmen musste. Lächelnd hängte er ein. 'L 19 ist mit dabei, wie ich den Loewe kenne! - Muss auch dabei sein...' Er starrte nun schon wieder ernst auf die Papiere. 'Ja, Wendt, wir können kein Schiff entbehren, und ich muss froh sein, wenn ich morgen 9 L-Schiffe zusammenkriege statt bisher höchstens 4 oder 5.'

'Am 9./10. August waren es 7,' warf der Adjudant ain, - damals als es Peterson erwischte als Ersten mit seinem L 12.'

'Das Schiff war hin, aber Peterson hatte Besatzung und sogar die Motoren gerettet: Wirklich eine ausgezeichnete Leistung!'

'Die Angriffe werden gefährlicher,' sagte Kapitänleutnant Wendt.

'Damit habe ich von Anfang an gerechnet. Wo früher eine Batterie schoss, scheinen jetzt 5 zu stehen. Sie schiessen auch besser, und die Scheinwerfer haben sich eingearbeitet.'

'Ich halte vor allem die Flieger für recht gefährlich!'

'Nun, - Breithaupt ist mit vieren fertig geworden.'

'Allerdings unter dem Opfer allen Ballastes ist er über sie gestiegen.'

'Man müsste das auch künftig versuchen.'

'Dem LZ 37 ist es aber scheinbar nicht mehr gelungen.'

'Ich habe den Bericht des Steuermanns neulich gelesen. Er ist ja der einzige Überlebende. Danach hat LZ 37 gar nicht mehr den Versuch gemacht, den angreifenden Flieger zu überhöhen. Es muss sofort in Brand geraten sein.'

'Und wie hat sich der Mann gerettet?'

'Er warf sich auf den Gondelboden, weil er die Glut über sich nicht mehr aushalten konnte. Die Gondel brach ab, stürtzte auf ein Kloster, brach durchs Dach aund warf den Steuermann heraus, gerade in ein Bett, aus dem eben eine Nonne aufgestanden war. So blieb er am Leben!' Er hielt kurz inne. 'Gefährlicher ist die Sache schon geworden, aber die Hauptsache ist, dass viele tausend Mann und Geschütze durch uns Luftschiffer in England festgehalten werden und somit der Westfront verloren gehen. 19 Luftschiffangriffe sind 1915 gefahren worden, und das britische Inselreich hat auf diese Weise immerhin über 1000 Bomben erhalten. Das ist ein Erfolg, mit dem wir ganz zufrieden sein können!' Er sah den Adjudanten an. 'Man darf im Krieg nicht weich werden!' sagte er dann und wendete sich mit einem Rück seiner Arbeit zu.

P
eter Strasser sprang aus der Führergondel. Der Truppoffizier meldete. Der Adjudant hob die Hand zur Mütze. Die kleine Truppkapelle spielte: 'Was kommt dort von der Höh'.

Eben hatte der Kommandeur noch gelacht, jetzt legte es sich auf einmal schwer auf ihn. Villeleicht waren es die 22 Stunden ununterbrochen Dienstes, vielleicht kam ihm erst jetzt das Erlebte richtig zum Bewustsein? Er fühlte, wie alle Augen der Männer des Trupps an ihm hingen. Sie traten ein wenig scheu zur Seite.

Es war nasskalt.

Kapitänleutnant Wendt meldete: 'L 13 ist bis Manchester gekommen!'

Der Kommandeur nickte anerkennend: 'Gut, der Mathy! Hat jetzt 9 Englandangriffe hinter sich!'

'Und L 21 ist sogar bis Liverpool vorgestossen.'

Peter Strasser blieb stehen: 'Alle Achtung, da ist also Max Dietrich als Erster bis an die englische Westküste gekommen!'

'Kapitänleutnant Breithaupt meldet, dass L 15 die Bahnhofsanlagen in Sheffield getroffen hat. Auch er ist bestimmt über Liverpool gewesen. Er stellte ein Nachschleppen seines Kompasses um 8 Strich fest, ein Motor fiel aus, hat aber L 15 glatt nach Hause gebracht.'

'Sehr ordentlich! Und L 20?'

'Stabbert ist auch zurück. L 19 ist ebenfalls bis Liverpool gekommen.'

'Na, - da bleibt den Engländern gar nichts anderes übrich, als auch die Industriestädte tief im Land und selbst an der Westküste mit Abwehr auszustatten. Das kostet ihnen wieder tausend Mann und Geschütze. Das wäre auch ein Erfolg, selbst wenn sie wieder mal behaupten sollten, unsere 379 Bomben wären alle auf freies Feld gefallen. Also waren wir das letzte Schiff?'

'Nein, herr Kapitän! L 19 fehlt noch.'

Peter Strasser blieb stehen und musterte seinen Adjudanten: 'Ist das die einzige Meldung von L 19, die mit Liverpool?'

'Nein, Herr Kapitän. Loewe meldete, um Mitternacht in der Nähe der englischen Westküste gestanden zu haben, wo er 1600 Kilogramm Bomben geworfen hatte. Auch grössere Industrieanlagen bei Sheffield hat er mit Brandbomben beworfen. L 19 wurde mehrfach beschossen...'

'Beschädigt...'

'Dawon funkte Loewe nichts.'

Peter Strasser bis einen Augenblick die Zähne aufeinander, dass es schmerzte: 'Hat niemand ihn gesehen?' fragte er dann.

'Doch, - Kapitänleutnant Stabbert hat ihn um 9 in der Nähe der deutschen Küste gesehen. Dann ist L 19 im Nebel verschwunden. Seitdem fehlen auch Funkspruche.'

Der Kommandeur wendete sich der Schreibstube zu, sagte nur über die Schulter weg: 'Oberleutnant v. Buttlar möchte sofort zu mir kommen.'

Er sass dann an seinem Schreibtisch. Einen Augenblick lang stützte er den Kopf in die hohle Hand, - einen Augenblick nur. Als der Kommandant L 11 eintrat, sass er schon wieder gerade.

'Melde mich gehorsamst zur Stelle!' Das schmale, junge Gesicht, das sonst so gern lachte, war ernst.

'Haben sie L 19 draussen gesehen? Wir haben sein ein paar Stunden keine Nachricht mehr von ihm. Alle anderen Luftschiffe sind eingelaufen.'

'Nein, Herr Kapitän!'

'Dann halten Sie bitte Ihr Schiff so klar, dass Sie sofort hochgeben können, um L 19 auf See zu sichen.'

'Zu Befehl, Herr Kapitän!'

'Danke!'

Die Tür klappte.

Eigentlich hätte er jetzt schlafen gehen sollen, aber daran war nun nicht zu denken. Ferngespräch mit den Flottenchef, damit sofort Torpedoboote und leichte Streitkräfte in See geschickt werden! L 11 muss warten, bis dieser dicke Nebel weg ist! Vorher hat die Sucherei aus der Luft gar keinen Sinn! -

So rann der Tag.

Nein, - er verrrann nicht in stumpfem Grübeln. Dazu war Peter Strasser nicht der Mann. Er hatte es immer so gehalten: Wenn er mit etwas fertig werden musste, dann stürzte er sich mit wahrer Mut in die Arbeit. Und es gab, weiss Gott, genügend Arbeit für den Kommandeur der Marine-Luftschiff-Abteilung, die nun schon auf viele tausend Mann mit einem halben hundert Offizieren oder noch mehr angewachsen war. Fuhlsbüttel, Leipzig, Hage, Tondern, Kiel, Düren, Düsseldorf, Namur, Biesdorf, Ahlhorn, und wie die Luftschiff-Detachements und -Häfen alle hiessen, wollten versorgt sein mit Luftschiffen, mit Gas, mit Bomben, mit Betriebstoffen, Proviant, Truppmannschaften, Schiffspflegetrupps, Besatzungen, Bewachungsmannschaften und was es noch alles gab. Eigene Fernsprechleitungen und Funkdienst verband sie alle mit dem Hauptquartier in Nordholz. Schon das genügte vollständig, um einen Kommandeur Tag und Nacht zu beanspruchen. Dass er sich ausserdem für Kriegsfahrten überhaupt freimachen konnte, war nur dem allezeit geschäftigen Adjudanten zu verdanken, diesem jungen Kapitänleutnant zur See Wendt, der jetzt gerade die verbindung herstellte nach Friedrichshafen. Dem Luftschiffbau musste Dampf gemacht werden, damit die Ablieferungstermine eingehalten wurden. Sie schaffen ja in Friedrichshafen, aber wenn man nicht Haare auf den Zähnen hatte, schnappten einem die Heeresluftschiffer glatt die neuen Schiffe weg! Das nahm ihnen an sich ja kein Mensch übel, denn sie hatten auch Verluste und wollten doch nicht Klein beigeben!

Der nebliche Wintertag ging schon zu Ende, da stürzte der Läufer herein, haute die Hacken zusammen: 'Funkspruch, Herr Kapitän!' Der Kommandeur hielt das Blatt ans Licht: 'Beabsichtige, heute nacht in Tondern zu landen', las er laut. 'FT-Anlage war unklar, zeitweise 3 Motoren ausgefallen. Standort etwa Borkum, Wind ist günstig...'

Peter Wendt sprang auf: 'Gott sei Dank!'

Der Kapitän lehnte sich an die Schreibtischkante.

'Die haben den ganzen Tag repariert', - lachte der Adjudant. 'Aber jetzt schaffen sie's!'

Der Kommandeur sah ihn ernst an.

'Also doch diese neuen Motoren! Es ist eben ein Wahnsinn, die in ein Frontluftschiff einzubauen, solange sie nicht aus den Kinderkrankheiten heraus sind. Was nützt mit da das günstigere Einheitsgewicht...'

Kapitänleutnant Wendt sagte: 'Loewe hielt sie nun für einwandfrei...'

Der Kommandeur fuhr herum: 'Nicht, weil sie gut waren, Wendt, sondern weil er mitmachen wollte!' Das klang heftig, aber sofort schweig er, - sah mit einemmal das Bild vor sich: L 19 stiess aus grauen Winternebeln herunter bis dicht über die Dächer, - und unten im Garten standen sie im Schnee aund winkten hinauf...

'Peterson ist schliesslich auch lange ausgeblieben, - damals...' sagte Peter Wendt in die Stille hinein.

Der Kommandeur sah auf: 'Bei L 12 liefen die Motoren bis zuletzt einwandfrei. Nur drei Zellen waren leergelaufen...'Er lachte heiser auf über dieses 'nur', das völlig genügte zum Schlimmsten. -

Warum ging ihm nur dieses Bild nicht aus dem Sinn von dem hellen Schiff, das seinen Bug noch einmal neigte..

Er schüttelte sich unbewusst.

Der Adjudant trat einen Schritt heran: 'Herr Kapitän sollten sich hinlegen... Etwas wenigstens. Sobald eine Nachricht kommt...' Aber der hörte ihn nicht...

Längst hatte die Nebelnacht draussen alles eingehüllt, doch L 19 gab keine Antwort mehr. -

Ferngespräch nach Tondern. Kapitänleutnant v. Schubert, der stellvertretende Detachementsführer, war am Apparat. Nein, - L 19 war noch nicht da. Noch immer nicht. Die Halle stand offen. Die Haltemannschaft war in Bereitschaft.

'Und der Brennstoffvorrät?'

'Muss längst aufgebraucht sein', kam es gepresst durch den Draht. -

Die Nacht war lang, - entsetzlich lang und aschwer. Immer wieder starrte der Kommandeur auf die Buchstaben, ohne zu lesen. Immer wieder zwang er sich doch dazu. Vielleicht sollte man doch eine halbe Stunde schlafen, - aber im Halbschlaf peinigte ihn dann der Gedanke, dass die Männer von L 19 setzt vielleicht die letzte Leuchtkugel schossen, - dass die Wellen der See gegen den Schiffskörper schwabbten...

Peter Strasser faltete die Hände wie im Krampf. Dann fragte er wieder bei der Flottenleitung an und in Tondern. Niemand hatte mehr L 19 gesehen. -

Licht stand schon fahl hinter grauen Schleiern, da schrillte die Glocke. Aber es war nur der Flottenchef, der selbst nur fragen wollte. -

Und langsam schlich ein Wintertag über die Heide, an deren hartem Kraut unzählige graue Tränen hingen. -

Die Fahrtberichte der einzelnen Schiffe trafen ein, sauber geschrieben. In siebenfacher Ausfertigung, wie das vorgeschrieben war, sieben Barographenstreifen dabei, - sieben Auszüge aus dem Fahrtenbuch, - dazu die Kartenskizzen und Ballastbuchblätter. Fahrtaufgabe, Wetterlage, Windverhältnisse, Besatzung, statische Fahrtbedingungen, Ausfahrt der Halle, Verlauf der Landung, Einfahrt in die Halle, Fahrtleistung, Verbrauch an Betriebsmitteln, genauer Fahrtverlauf mit Uhrzeiten, Skizze der Ballastverteilung mit Dienstladung, Nutzladung und allen Unterschriften. Der 'ganze Schriftladen', wie das die Kommandanten ärgerlich nannten, und der nötig war, um die Erfahrungen auszuwerten. Von jedem Luftschiff war der Bericht da, - nur von L 19 fehlte jede Nachricht. -

Am Abend rief Tondern an. Sie wollten ein Telegramm an Frau Loewe schicken: 'Infolge heutigen Luftschiffverlustes wird Kapitänleutnant Loewe vermisst. Punkt. Nähere Angaben brieflich 5. Marine-Luftschiff-Detachement.'

Peter Strasser sagte nur: 'Einverstanden!' Dann setzte er noch hinzu: 'Und dann schreiben Sie gleich einen Brief dazu, Schubert...' -

Dann war wieder Nacht.

Jetzt musste das Telegramm dort sein, - und morgen kam ein Brief, der nichts sagen konnte... Die Uhr tichte plötzlich ganz laut, die Luft sang in den Ohren, - oder war es der Wind, der über das Feld strich, - der wieder um die hohen Funkenmasten heulte? Die kalte Nacht war ohne Trost, aber Peter Strasser ruhte nicht lange. Neue Angriffe mussten vorbereitet werden. Trotzden und gerade deshalb!

Am nächsten Morgen schrillte die Klingel: 'Holländische Telegraphenagenturen melden, dass ein Luftschiff in geringer Höhe im Nebel über Holland gefahren ist.'

'Und ist gelandet?' Die Stimme des Kommandeurs war heiser.

'Davon ist nicht gesagt. - Nur, dass die Holländer es wegen Neutralitätsverletzung beschossen hätten...'

Peter Strasser sagte nichts. Er dachte an die Schüsse auf L 7 und an Hirschs Worte: 'Jedes Kriegsschiff darf bei Not neutrale Küste anlaufen, aber wir Luftschiffer sind ausgeschlossen...' -

Der Dienst ging seinen Weg. Es blieb nicht viel Zeit zum Grübeln. Schliesslich kein Wunder, war doch die Abteilung von 120 längst auf 7000 Mann angewachen, die sich auf 12 Luftschiffhäfen verteilte. 20 Luftschiffe waren nun gleichzeitig in Dienst. Kapitänleutnant Mathy war da mit allerlei Werbesserungsvorschlägen. Und auch Oberleutnant zur See Peterson wollte etwas. Der Kommandeur sah den jungen Offizier freundlich an: 'Sie haben damals alles über Bord geworfen, um L 12 zu erleichtern?'

'Zu Befehl, Herr Kapitän...' Er stockte und sahte dann, ohne das Gesicht zu verziehen '... zuerst das Tagebuch und den ganzen Schriftkram...' Er blinzelte zu den Aktenstabeln auf dem Tisch.

Der Vorgesetzte gab ihm die Hand. Der Peterson hatte das alles schon wieder hinter sich, - die Stunden, in denen sein Luftschiff sich mühsam durch das Wasser schleppte, - in denen es tiefer und tiefer sank, - das war nun alles längst gewesen, - ein halbes Jahr her, - und was war nicht ein halbes Jahr in diesem Krieg! Recht so, der Peterson! Sah nur voraus! War ja auch jünger. Er nickte ihm freundlich zu. -

Am folgenden Tag lag dieser Durschlag bei den Postsachen: 'Verhandelt!' Peter Strasser las das Schriftstück Zeile zum Zeile: 'Heute fand die Aufnahme des Nachlasses des infolge der nicht erfolgten Rückkehr des Marine-Luftschiffs L 19 von einem Unternehmen vermissten Kapitänleutnant Loewes durch die unterzeichnete Kommission statt. Es wurden folgende Gegenstände vorgefunden und unter Verschluss genommen...' Alles war dann aufgeführt, - und der Kommandeur müsste nun auch schreiben, - aber er schob es noch einen Tag hinaus. Als dann noch immer keine Nachricht da war, schrieb er den Brief. Es war nicht der erste, den er schreiben musste, - es würde auch nicht der letzte sein, - doch es war entsetzlich schwer, um Worte zu ringen, die... 'Seine Kriegsverdienste sind mehrere mit grossem Geschick und Erfolg durchgeführte Aufklärungs- und Angriffsfahrten, die uns allen in rümlichster Erinnerung bleiben werden...' Er las den Brief noch einmal durch und schrieb dann mit steiler Schrift seinen Namen in drei Absätzen. Der Endstrich der R war wie eine wehende Flagge. Ja, - die Flagge musste weiter wehen... -

Als der Brief weg war, wurde er an den Fernsprecher gerufen: 'Nach einer Reutermeldung hat der englische Fischdampfer 'King Stephen' auf der Nordsee ein auf dem Wasser treibendes Luftschiff gesehen...' Die Hand mit dem Hörer zitterte: 'Dann sind sie gerettet?'

Es knackte ein parrmal im Draht, dann kam die Stimme von fern und war müde: 'Nein... Der Dampfer habe die Besatzung nicht retten können...'

'Bei diesem ruhigem Wetter? Das ist doch ausgeschlossen! 16 Mann musste er doch unterbringen können...' Er halte die Faust. Können? Musste das nicht 'Wollen' heissen? Er hängte müde ein, ohne sich yu bedanken für den Anruf, - ohne sich zu verabschieden. - Krieg ist Krieg! Und in jedem Krieg gibt es Tode, - gibt es Hinterbliebende! Und wir sind Manns genug, dieses Schicksal zu tragen. Schwer aber ist es, gegen solche Niedertracht anzukämpfen. Schwer, weil es uns Deutschen völlig unverständlich ist, wie man auch nur einen einzigen Menschen mehr opfern kann, als er unbedingt nötig ist. Wir retten auch jeden Feind, - wenn es sein muss, sogar mit Lebensgefahr!

Er starrte vor sich hin, um sich gleich darauf hochzurichten.

Wir werden auch das ertragen! Wir werden die Gemeinheit des Feindes auch jetzt nicht nachmachen! Doch unsere Arbeit soll unnachsichtlich eingesetzt werden, den Feind zu schlagen! Das ist der schönste Dank an unsere Toten, - ist ihnen das schönste Denkmal! Dann bleiben die Kameraden doch immer unter uns! -

So war Peter Strasser immer gewesen. Er war nicht hart, ohne Empfinden. Er fühlte mit. Jeder seiner Männer nahm ein Stück von ihm mit den Tod, doch jedes Erlebnis, jeden Verlust, formte er um eine Kraft, die ihn nicht nur zur gleicher Leistung, sondern zu stärkerem Einsatz befähigte. Sein Wort war wahr: dass kein Toter ihn verlassen hatte, - noch verliess...

A

ls Peter Strasser eines Morgens an seinen Schreibtisch trat, fand er einen Packen englischer Zeitungen dort.

Er blätterte umher. Da war etwas angestrichen. 'Das ist ja kaum glaublich, Wendt! Die Engländer geben jetzt zu, dass King Stephen die Besatzung L 19 nicht gerettet habe, obwohl er in Rufweite herangekommen war...'

'Und in der anderen Zeitung, Herr Kapitän... Ja, dort, - da steht die Billigung dieses Verhaltens durch einen englischen Bischof.'

'Aber das ist doch Unmöglich...'

Nein, - es war nicht unmöglich, - hier stand es schwarz auf weiss und war mit allem Nachdruck in aller Öffentlichkeit gesagt.

Peter Strasser sah lange auf das Blatt. Dann faltete er es zusammen mit spitzen Fingern, schob es zur Seite. 'Ich beneide sie nicht, trotzdem hinter ihnen die ganze Welt steht mit Waffen und Geld... Ich beneide sie nicht: King Stephen, Baralong.. Wie wollen sie das jemals abwaschen?'

'Sie haben sich daran gewöhnt, nur Erfolg zu wollen, ganz gleich mit welchen Mitteln...'

'Wir müssen sie sehen,wie sie sind ...', sagte der Kommandeur hart. 'Wir haben sie bisher viel zu sehr mit unseren Augen gesehen.' - Er presste die Zähne zusammen und arbeitete wieder. -

Schnee rieselte müde über das weite Feld. Da hinten gingen die Posten an den grossen Doppelhallen auf und ab und vor der Gasanstalt. In den Kasernen wurde 'innere Dienst' getan. Die Luftschiffe ruhten in den Hallen auf ihren Böcken. Ein paar Mann vom Pflegetrupp waren in jedem Schiff tätig, - dichteten Zellen, - sahen Magnete nach, prüften Steuerzüge. Und in Lübeck sass eine Frau mit zwei kleinen Kindern, - Frauen und Eltern und Bräute und Kinder... Sie alle klammerten sich noch an winzige Funken Hoffnung, - die man ihnen heute nun auch noch ersticken muss...

Er wendete sich, - schob wieder den Stuhl an den Schreibtisch und schrieb mit seiner steilen Schrift:

Nordholz, 8. II. 16.
Sehr verehrte, gnädige Frau!

Haben Sie Dank für Ihren tapferen Brief. Leider kann ich Ihnen keine Hoffnung mehr machen. Das Gerücht von den 9 Geretteten bewahrheitet sich nicht. Der englische Fischdampfer hat die Rettung schändlicherweise verweigert. Und wenn ein anderes Fahrzeug Hilfe geleistet hätte, so müsste davon nunmehr irgendeine Kunde da sein.

Eines unserer Torpedoboote hat ein Benzinfass vom L 19 gefunden. Ich habe das Fass besichtigt, es kann nur von dem untergegangenen Luftschiff sein.

So mancher unserer Luftschiffkameraden ist der L 19-Besatzung vorausgegangen in todesverachtender Pflichterfüllung; viele andere werden noch folgen müssen! Seien Sie tapfer, gnädige Frau, so wie Ihr Mann der Tapfersten einer war.

Ich drücke Ihnen im Geiste die Hand als Ihr sehr ergebener

Strasser

Korvettenkapitän und Kommandeur der Marine-Luftschiff-Abteilung.

Er legte die Feder zurück und nahm einen Briefumschlag aus der Schublade.

Da kam ihm der letzte Brief seiner Mutter in die Hand, den er länger unbeantwortet gelassen hatte, wie das sonst seine Gewohnheit war. Eigentlich musste er ihr doch schreiben. Nein, - leicht war das heute nicht, aber danne schrieb er doch:

Liebe Mutter!

Deine Ausführungen habe ich aufmerksam gelesen. Ich kann und will aber in der Sache nicht schrieben. Es ist seine eigene Schuld, wenn er im Kriege nur gemeinen Rang bekleidet. Mit solchen Krampfadern und Herzfehlern konnte man im Frieden vom Waffendienst freikommen, wenn man wollte, weil wir Überfluss an Menschenmaterial hatten. Wer damit dienen wollte, weil er die Erledigung der Dienstpflicht als Freude und Ehrensache ansah, der konnte das. Leider wurde in vielen solchen Fällen das Freikommen des Betreffenden noch als freudiges Ereignis angesehen, und leider hat der Staat es verabsäumt, den Betreffenden für das Richtdienen eine tüchtige, ihrer Vermögenslage angemessene Steuer aufzuerlegen.

Wenn sich einer nun in der untergeordneten Beschäftigung eines Hilfskrankenwärters nicht wohl fühlt, so ist er selbst schuld und ich mische mich da nicht hinein.

Unangenehmen Dienst im Kriege kenne ich nicht, keine Hilfeleistung, welscher Art sie auch sei, ist im Kriege erniedrigend und ekelhaft. Scheint es jemand so, dann liegt es an seiner unrichtigen Auffassung. Und von gefährlich kann gar nicht gesprochen werden. Jeder, der nach den zum Teil unsinnigen Bestimmungen nicht felddienstfähig ist, kann hinter der Front sitzen, weil er irgendein kleines Leiden hat, Millionen anderer aber bieten ihren gesunden Leib mit Freuden den feindlichen Kugeln dar und sind den ungeheueren Anstrengungen des Kriegsdienstes ausgesetzt.

Also, liebe Mutter, nimm es mir nicht übel, aber in der Sache tue ich nichts. - Ich hoffe, dass es Euch allen gut geht. Schickt mir nur gelengentlich die leeren Gefässe, Gläser und Kruken zurück, damit ich mich nach neuer Füllung umtuen kann.

Mit besten Grüssen, dein Sohn Piter

Er liess die Feder sinken. Vielleicht wird Mutter jetzt traurig sein, Mutter, die allen Menschen helfen will. Aber ich kann nicht anders...

N
ach dem frühen Mittagsessen zog sich der Kommandeur das warme Angriffsfahrtenzeug an. Erst die Papierunterwäsche. Darüber wurden die Wollesachen gestreift und dann kam der kamelhaargefütterte Mantel. Die Kleider rochen nach Benzin, Öl, Gas und Gummi. Wenn einmal der Krieg zu Ende wäre, immer würde man bei diesem Geruch unwillkürlich die gleichen Empfindungen haben: Stolz, Ungewissheit, Spannung, - aber auch eine Müdigkeit, - irgendeine unstillbare Trauer, - über allem aber doch immer wieder unbändiger Stolz!

Peter Strasser schlang das Halstuch um. Dabei glitten seine Blicke über all die Gegenstände, mit denen er täglich zusammen war. Kleinigkeiten waren es, - gewiss für jeden fremden Menschen ohne Wert. Auch für ihn waren es keine Kostbarkeiten, doch er musste auf einmal an den Schreibtisch von Kapitänleutnant Hirsch denken, auf dem noch alles so gelegen hatte, als wäre Klaus Hirsch nur eben zum Kaffeetrinken ins Kasino hinüber gegangen. Gerade so hatten die Sachen dagelegen. Und an der Wand hatte noch das 'Torpedobootjakett' gehangen. Aber Klaus Hirsch war bereits verbrannt, - hatte schon die Strecke Weges durchschritten, die ihm zugemessen war...

Peter Strasser presste die Lippen zusammen. Dort lagen noch unerledigte Akten. Vielleicht würde da ein anderer seine Unterschrift darunter setzen müssen... Nein, - das war keine Angst, - das war kein jämmerliches Sträuben gegen ein Schicksal, das er nicht anerkennen wollte, - es war nur das ruhige Erkennen eines Mannes, der nicht gewohnt war, sich etwas vorzumachen. Sein Entschluss, wieder seine Luftschiffe selbst zum Angriff zu führen, war keinen Augenblick dadurch in Frage gestellt worden. Er war stark genug, dies ertragen zu können, ohne sich erst in besondere Stimmung versetzen zu müssen. Er war Manns genug, die Kraft hierzu nur aus sich selbst zu schöpfen, - nicht erst zuwor seine Kräfte künftlich aufputschen zu müssen.

Jetzt nahm er die Handschuhe. Von der riesigen Drehhalle herüber klang schon das Brausen der Maschinen im Probelauf. Da brachte der Läufer noch Post. Peter Strasser legte noch einmal die Handschuhe hin. - Ein, - zwei persönliche Briefe. Er schob sie zur Seite. Das Eigene war jetzt fern, - musste nun fernbleiben, auch wenn es diese Schriftzüge trug. Aber dieses Dienstliche da! Er riss den braunen Umschlag auf, der umgeklebt war und im Innern eine alte Anschrift trug. Als erstes fiel ihm ein schmutziger, zerkniterter Zettel in die Hände:

'Abs. Ober-Masch.-Maat Georg Baumann, Marine-Luftschiff L 19, in Seenot geraten am 1. Februar 1916, nachmittags 4 Uhr. Liebe Gretel und Kinder: Befinde mich augenblicklich in grosser Gefahr. Sind mit unserem Schiff ins Wasser gefallen. Liebe Gretel, bis zur letzten Minute auf Rettung hoffend. Ist es anders bestimmt, nun so ist es Gottes Wille. Getreu bis in den Tod gewesen und küsst Dich und die Kinder herzlich. Dein treuer Georg.'

Der Läufer stand noch.

'Es ist gut!' sagte der Kommandeur.

Der Mann machte eine stramme Wendung und polterte hinaus.

Peter Strasser setzte sich noch einmal und band das Halstuch los.

Die schwedische Jacht 'Stella Smögen' hat an der schwedischen Küste am 22. Februar 1916 eine Thermosflasche aufgefischt...

Georg Baumann, das war der Obermaat mit dem Spitzbart! Er nickte vor sich hin. Am 1. Februar nachmittags 4 Uhr, - das war also die Stunde, als gerade der Funkspruch abgegeben worden war, dass L 19 nachts in Tondern landen wolle, - der letzte Funkspruch, der nicht zu Ende gesendet wurde.

Peter Strasser legte den verschmierten Zettel sorgsam in den Umschlag zurück. 'Bitte sofort den Brief abschreiben lassen und zunächst nur die Abschrift an Frau Baumann schicken!' Fünf Kinder hat sie daheim. Aber, das sprach er nicht aus. Er zog sein Halstuch fest und ging mit sicherem Schritt zur Tür: 'King Stephen!' sagte er nur vor sich hin.

Noter

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